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IX.

Baustelle

Die Ateliertüre ist hinter mir geschlossen. Der Raum ist aufgeräumt. Er interessiert mich nicht. Vor meinem Fenster im 3. Stock tobt der Bär. Von unten schießt ein neues Steidle-Gebäude in die Höhe, 12 Stockwerke soll es hoch werden. Eine Mischung aus Hotel, Hostel, Bolderhalle. Etwas, was man nicht gegenüber seines Ateliers braucht, schon gleich dann nicht, wenn es das ganze Tageslicht wegnimmt. Die Baustelle hat vor circa 2 Monaten begonnen, jetzt kommen die Etagen gefährlich nahe an mein Fenster heran. Rasend schnell.

Das Monster sitzt vor meinem Fenster. Ich muss es beobachten. Domestizieren, verstehen, indem ich es male. Metallstaub und kreischender Materialgeruch. Fenster auf oder zu. Aus mir unbekannten Gründen greife ich zum kleinen Aquarellblock und dem Farbkasten, den ich seit Beginn meines Studiums nicht mehr zur Hand genommen habe. Es braucht ein Medium, das so klein ist, dass ich es auf dem Tisch vor mir benutzen kann, um durch das Fenster nach unten zu schauen. Da gibt es auf der riesigen Fläche etwas links eine Ecksituation, an der eifrig gewirkt wird. Drahtige Männlein – sie sehen klein aus, weil sie weit weg sind, vermessen. Von oben schweben riesenhafte Wandelemente herbei, diese werden aufgestellt. Wirre Drähte, die wohl keine Drähte sind, stechen in die Höhe.

Anfangen. Dieses für mich nicht greifbare Material hat schöne Farben. Die frühe Sonne lässt eine Wand rosé erscheinen. Plötzlich sind ganz viele Männlein mit ihren Helmen da. Der eine Helm Ultramarinblau, der andere orange, der nächste Indigoblau. Schon sind sie wieder weg und die Wand hat auch eine andere Farbe. Ach. Ich setze Fläche. Setzte Farbe. Wundere mich über das trocknende Wasser. Eine Fläche bedingt die nächste. Warten auf die scharfe Kante. Das Weiß. Der Zwischenraum. Der Pinsel ist zu groß für die Form, tut nicht das, was ich will. Das mag ich. Wasserfarbe reduziert sich zu pudrig anmutender Farbform, wabernd, weil ein anderer Farbstrich von unten drunter hervor scheint.

Langsam langsam legen sich Farbflächen auf das klein gewellte weiße Blatt. Nebeneinander, übereinander. Schon wieder erkenne ich nichts mehr, verstehe nicht, was die Männlein da untern machen. Sehe einen interessanten Schatten auftauchen und beginne ein neues Blatt.

Ich male mir die Idylle, die nicht existiert. Der Lärm und auch die Vorstellung, dass in wenigen Monaten dieses Monster vor meinem bisher weiten Ausblick auf eine der letzten Münchner Brach-Landschaften prankt, widern mich an. Gleichzeitig bin ich den vielen Formen der Großbaustelle zugetan, die ich sonst nirgends finden würde. Fasziniert von der rasenden Geschwindigkeit, den ohrenbetäubenden Tönen und dem unerwarteten Abbrechen derer. Die Baustelle ist das Andere. Das Faszinierende und Abstoßende. Das Unbekannte. Beste Voraussetzung für mich, es mit meinen Augen und dem Pinsel zu erforschen und all das, was in mich eindringt, wieder mit buntem Wasser, das dem Malprozess keinen Widerstand bietet, auszugießen.

21.November 2018
* www.angelastauber.de/serie/was-bleibt/

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